Den Titel meines Beitrags entlieh ich aus dem Epilog
des Buches Hašeks Švejk, von Přemysl Blažíček.
Meine Anmerkungen sind dem Andenken
an den Autor dieses Buches gewidmet.
Am Ende des vorigen Jahrhunderts, im Dezember 1998, stimmten in einer Umfrage der Zeitschrift Týden (Nummer 52) 23 Literaturwissenschaftlerund Kritiker über die tschechische Prosa des Jahrhunderts ab. Den ersten Platz besetzte des Buch Die Abenteuer des braven Soldaten Švejk während des Weltkrieges. „Auch im Abstimmen wählerischer Leser“ – so lesen wir im einleitenden Kommentar der Umfrage – „gewann dieses nicht aus zu schliessende, eigentlich direkt populäres Buch“ (S. 48). Die Zeitschrift Tvar (2003/8) bezeugte erst kürzlich und erneut die nicht nachlassende Beliebtheit dieses Werkes (anlässlich zum doppelten Jubiläum des Autors) mit einer Reihe von Beiträgen und ebenfalls einer Umfrage, in der sich Schriftsteller, Kritiker und Publizisten mit der Frage Mein Bezug zum Werk Jaroslav Hašeks? auseinander setzen. Die Antworten auf diese Frage waren selbstverständlich mannigfaltig, sie glichen sich jedoch in einem: Das Werk dieses Schriftstellers – mag es nun faszinieren oder schockieren – ist auch an der Schwelle zum dritten Jahrtausend lebendig.
Zu diesen mannigfaltigen Antworten möchte ich nun ebenfalls ein Stück meiner eigenen Erfahrungen mit dem Werk Hašeks und im Speziellen mit dem Švejk anfügen. Als Erzähler kehrte ich mehrere Male zu ihm zurück, jedes Mal von einer etwas anderen Seite und immer mit dem Gefühl lediglich mit einem Löffel aus dem Meer geschöpft zu haben. Erst später und nicht sogleich leuchtete mir ein, dass dieses lebendige Gebilde an Niedergeschriebenem – und später sogar direkt in die Feder des Schreibers Kliment Štěpánek diktiertes Erzählen – immer und in jeder Auslegung ein Unikat sein wird: Nicht nur durch das Übermaß an Lebensempirie und nicht nur durch die Unberechenbarkeit der Erzählkunst des Autors, sondern auch durch etwas Weiteres, das nicht einfach zu fassen ist: Der sich bewegende, stets geöffnete Horizont der Weltanschauung, des Menschen, der geschichtlichen Ereignisse und gleichzeitig der Unauffälligkeit und des Alltäglichen in ihnen. Anhand dieses Horizontes, in dem sich alles vermengt und miteinander kämpft, zeigt er dessen Begrenztheit und Lächerlichkeit, Dumpfheit und Blödheit, Grausamkeit wie Schrecklichkeit, aber auch die unerwartete Freude an dieser Erkenntnis, verbunden mit unerahnten Umwälzungen Allens, also auch dessen, was uns beengt und einschränkt, in dessen Gegenteil. Das alles spielt sich ununterbrochen in Hašeks Roman und vor allem in Švejks Sprache ab. Diese jedoch benennt nicht nur die Wirklichkeit, sondern sie eröffnet sie auch. Ich denke, dass diese Botschaft dem braven Soldaten Švejk nicht abgeleugnet werden kann. Sein „Diskurs“, wie man es neuerdings zu nennen pflegt, ist nicht nur ausschließlich destruktiv, sondern er ist mit schöpferischer Energie geladen, die auf Umwegen, durch die Welt des Schaffens im Werk und durch unsere Beteiligung an diesem Schaffen, erneut in unsere Leben eintreten kann, und sei es nur als eine „mögliche“ Welt – jedoch eine für den Menschen noch nicht verlorene. Bohumil Hrabal benannte es auf seine Art: „Ich denke an Hašek, der ein lebender Beweis für die Verschiebung nach unten ist und dadurch zu einer gewissen Erhabenheit, ich wundere mich über seinen Švejk, einen Charakter, der den gesamten Text unbeschadet, ohne Rangabzeichen, ohne Ehefrau, ohne Kinder, ohne Geliebte, fast auch ohne Freunde durchstreift, aber durch seine Gespräche enthüllt und besiegt er einem Zauberer gleich die degenerierte Welt“ (An der Grenze zwischen Wiege und Sarg, in Gesammelte Schriften B. H. Band 15, S. 12). Ein anderes Mal nannte Hrabal den Švejk „eine Hieroglyphe der menschlichen Existenz“, er fasste ihn als ein Zeichen auf, das zwar auf seine Art mitteilt, sein Geheimnis jedoch bewahrt (Gesammelte Schriften B. H. Band 17, S. 304). Für den späten Hrabal war ein künstlerisches Werk, das einen solchen Namen verdiente, eine „Chiffre“, ein beunruhigendes, subjektiv gültiges Zeichen, welches zugleich in der Lage ist „nicht nur das menschliche Leben, sondern die ganze Welt zu erklären“ (Gesammelte Schriften B. H. Band 13, S. 67). Ich denke, dass eine solche Auffassung nicht nur Hrabals, sondern, im Rückblick gesehen, auch Hašeks Werk betrifft, vor allem dessen Höhepunkt, den Švejk, der auch nach vielen Jahrzehnten jeder „letzten“ Aneignung erfolgreich entkommt. Natürlich entkommt er ihr nicht durch ein überirdisches Mysterium, sondern lediglich durch das Geheimnis der Sprache, in der er das Leben, auch von Angesicht zu Angesicht dessen, was gegen ihn geht, beleuchten kann, was ihn fesselt, behindert und leugnet. Švejk ist, genauer genommen kann er immer wieder für eine unzählige Leserschaft erneut zu einer Chiffre menschlicher Freiheit (auch der eingeschlossenen und bewusstlosen) werden, einer Freiheit, die ihren letzten Zufluchtsort – aber auch ihr erstes wackeres Ausschreiten – im Lachen und in der Sprache findet.
Zu erst bemühte ich mich die positiven Werte Hašeks Švejk mit irgendeiner klar zu erkennenden ideellen Konzeption zu überdachen (Die künstlerische Wahrhaftigkeit Hašeks Švejk, 1960 [Umělecká pravdivost Haškova Švejka]), die sich jedoch bald als eine Zwangsjacke zeigte. In meinem weiteren Versuch (Der Streit um Švejk, Literární noviny 1965, Nummer 44) war ich schon etwas vorsichtiger: Ich verteidigte den durch die literarische Konstruktion geschaffenen Bedeutungsreichtum gegen deren äußerlich soziologisierende oder moralisierende, dem Text jedoch in jedem Fall meilenweit entfernte Interpretationen. Wesentlich zielsicherer konnte ich meine Vorstellungen im Artikel Das Spiel mit dem Erzählen (Hra s vyprávěním. In: Struktur und Sinn des literarischen Werkes, 1966) zur Geltung bringen. In der Wechselbeziehung der schöpferischen Kräfte, die Hašeks Sehen der Wirklichkeit in einen Text verwandelten, suchte ich selbstverständlich erneut, scheinbar unbelehrbar, das Positive: „Die Bedeutungen des Lebens, die dank des Seins des Werkes dessen Erstarrung und Tod widerstehen.“
Meine Orientierung bestätigte Werichs Vorlesen der Abenteuer des braven Soldaten Švejk auf 17 Langzeitschallplatten von Supraphon (Über Werichs Erzählen der Abenteuer hinaus. In: Die Unselbstverständlichkeit des Sinns, 1991). Soweit es um Švejk geht, äusserte Jan Werich im Jahre 1963 seinen Standpunkt sehr direkt: „Švejk ist doch sicher kein Held der Negation. Švejk ist ein guter Mensch. Švejk weiss, was er will. Er weiss, wo die Vernunft und wo die Dummheit ist“ (1963). Interessanter jedoch als dieses Gesamturteil ist Werichs Vortrag selber. Mein Eindruck dessen konzentrierte sich in Widersprüchen: Wie ist es möglich, dass trotz dessen, von dem hier erzählt wird und das an und für sich meistens nicht sonderlich erfreulich ist, uns über die ganze Zeit des Vortrages hinweg das unanzweifelbare, ja direkt wesentlich erfahrene Bewusstsein vom Übergewicht der Vorzüge des Lebens nicht verlässt? Diese Bedeutung kann durch nichts Anderes als die epische und komische Kraft der Gestaltung des Lebens als Thema suggeriert werden – durch Werichs Vortrag wurde Hašeks Ausarbeitung aktualisiert. Aus seinen Beobachtungen möchte ich den Teil in Erinnerung rufen, die Švejks Odysee nach České Budějovice behandelt. Hier tritt eine Reihe von Charakteren in den Vordergrund, die in Werichs Darbietung durch die spezifischen Eigenarten des Sprechens unterschieden werden: Die brave Großmutter, der misstrauische Herr Gevatter Melichárek, der betrunkene Harmonikaspieler, der gesellige Wanderer, der alte Schäfer, die alte Pejzlerka, Pepek Vyskoč und natürlich die Gendarmen in Putim und Písek. Es sind in der Tat in erster Linie vor allem episodenhafte Charaktere oder kleine Figuren, die im Erzählen nur kurz aufblitzen, die jedoch selber auch erzählen, diskutieren und ihre Gespräche führen. Werichs Vortrag lässt auch die kleinsten Figuren, die sich vielleicht nur in einigen Sätzen zeigen, nicht in ausdrucksloser Anonymität versinken. Werich spielt direkt leidenschaftlich mit der Unterschiedlichkeit ihrer Darstellung.
Durch zahlreiche Mittel der Audiorealisation werden die einzelnen Figuren so unbestimmt wie möglich, nur mittels Abkürzung oder Anspielung charakterisiert (sozial, individuell und auch durch das, was der momentane psychische Zustand mit sich bringt). Auf diese Art werden sie auch in klingender Mehrstimmigkeit vorgestellt, deren Miterleben zu den entscheidenden Vorzügen der werichschen Realisation von Hašeks Text gehört. Innerhalb dieser Polyphonie wird jede Stimme aus sich selber heraus lebendig, sie ist nicht bloßes Detail, welches seine untermalende Rolle abspielt und im allgemeinen Ganzen verschwindet. Das Ganze und sein Sinn dauern hier ausschliesslich im vielfältigen Reichtum der Stimmen an. Werichs Interpretation hebt diesen entscheidenden Zug in Hašeks Werk wie kaum eine andere hervor. Die Vielstimmigkeit des Lebens und dessen Widersprüche können wir in ihr in seiner ganzen Bandbreite wirklich hören, ebenso wie wir sie später für immer in Švejks Geschichten hören. In den Geschichten des Braven Soldaten Švejk wird uns die Welt als eine Anzahl aus vielen kleiner Welten bestehend vorgestellt. DASS sie ist und WIE sie ist, herrscht ganz eindeutig über der Frage WOZU eine solche Welt gut sei. Aber eben das „wozu“ ist am einfachsten zu fälschen. Das wusste Hašek und das wusste auch Werich. Deswegen sind die vielfältigen Stimmen in Aussagen eingefangen, in denen sie sich noch v o r dem zeigen, was beherrscht und gefälscht werden kann, nahe an ihrem unmittelbaren Sein. Dann ist die lebendige Sprache ein Mittel, durch das dieses künstlerische Genre zu Tage tritt.
Ein gründlicheres Untersuchen dessen, wie sich uns hier in Werichs Vortrag, durch dessen belebendes Erzählen sich die episodenhaften Gestalten vorstellen, müssen wir bei Seite lassen. Man kann sie in einem Satz zusammenfassen: Hier ist Švejk zu Hause. Werich spielt unter anderem auf diese Bedeutung durch den Tonfall an, in dem Švejk seine kurzen lakonischen Äusserungen von sich gibt. In ihnen passt sich Švejk durch die äussere Vereinfachung seiner Sprache der Welt der Menschen an, die er auf seiner Reise durch diese Gegend antrifft: Aber Großmütterchen, ich gehe zum Regiment in Budějovice, in deren ihren Krieg, das sagt Werich so, als ob sich die beiden in irgendeinem Märchen antreffen würden.
Es ist seltsam. Gerade dort, wo er zwischen den Seinen ist, wo er auf jedem Schritt mit lebendiger Sprache umgeben ist, erzählt er selber fast gar nichts, er beschränkt sich meistens darauf, dass er zustimmt. Er hat nicht das Bedürfnis die gegebene Situation oder das fremde Gespräch woanders, in einen ironischen, parodienhaften und absurden Kontext hin zu führen, wie er es sonst fortlaufend tut. Er hat nichts zu verschieben. Švejk ist dort, wohin ihn sonst seine Sprache verweist: Inmitten von natürlichen Welten kleiner Leute, in deren Sprache immer noch die Nähe zu dem überdauert wie die Dinge sind und auch die ursprüngliche Kraft die Dinge mittels der Sprache zu erfassen und diese in den Raum des Erzählens zu übertragen. Werichs Erzählen der Geschichten führt nicht nur die Dinge und die Geschehnisse vor, das, was geschehen ist, sondern auch seine schöpferische Freiheit. Meiner Ansicht nach, darf das für das Verständnis des Švejk nicht übersehen werden.
Wir sagten bereits, dass Švejk selbst in diesem Kapitel mit seinen Bemerkungen äusserst zurück haltend ist. Er stimmt den natürlichen Stimmen um sich herum zu, damit sie sich als natürliche zeigen und auf seine Art stimmt er auch der Dummheit zu – wie der des Flander – damit sie sich als Dummheit zeigt. In der Odysee in Budějovice wird Švejk in ein Licht gestellt, das wir nicht vergessen sollten. Hier wird sein Hintergrund gezeigt: Die Sprache, in der sich das verschiedene und auf nichts Vereinfachendes zu reduzierende Leben, bewahrt.
Aus diesem Blickwinkel heraus polemisierte ich mit Konzepten, die den Abenteuer des braven Soldaten Švejk vornehmlich einen destruktiven und nihilistischen Zug aufstempeln (Švejks Gleichgültigkeit der Geschichte. In: Die Unselbstverständlichkeit des Sinns, 1991 [Nesamozřejmost smyslu]). Bestärkt durch die Auffassung Bohumil Hrabals setzte ich erneut darauf, dass der gute Soldat Švejk nicht nur ein Enterbter der Geschichte ist, aber auch, um es mit Hrabal zu sagen, ein „pábitel“ auf dessen Müllhalde. Die Bedeutung dieser beiden Aspekte, sowohl des Aufenthaltes auf der „Müllhalde der Epoche“, als auch „pábit“ in der, von jeder höheren Sinnhaftigkeit der Geschichte verlassenen Alltäglichkeit, verfestigte sich seit den Zeiten Hašeks um ein Vielfaches. Und zusammen mit diesen Aspekten gelangte auch Švejks Spiel nicht nur „gegen“, sondern auch „um“ etwas ans Licht, auch wenn man sogleich hinzufügen muss: Der positive Sinn des švejkschen Spiels „um“ und zwar um die Möglichkeit im Unmenschlichen zu bleiben, kann nur schwer in eine resultative Bedeutung zusammengefasst werden und vergegenwärtigt sich eben nur in der Anteilnahme des Lesers an diesem entfesselten Spiel mit der Sprache und ihre Vermittlung der Wirklichkeit, wie auch immer sie geartet sein mag. Die Poetik Hrabals öffnete uns die Augen für solch eine Ordnung der Werte. Švejks Gleichgültigkeit der Geschichte, der Politik, der Sphäre der so genannten höheren Ideale bekommt im Abstand der Zeit eine tiefere Begründung. Sie ist nicht lediglich Ausdruck der Negation. Sie bedeutet der Sinn liegt „anderswo“, das schon. Aber diese Distanz ist dafür notwendig, damit der Raum des Menschlichen, vielleicht nur im Spiel der Sprache auf der Suche nach einem Sinn, nicht in der Enge der Zeit vergeht.
Die klingende Vielstimmigkeit des Lebens wurde mit vollem Recht zur Dominante in Werichs Erzählen der Schicksale. Ohne diesen Hintergrund verstehen wir auch Švejks „destruktiven Diskurs“ nicht richtig, wie ihn Hans Dieter Zimmermann im Nachwort zur kürzlich erschienen und erneuten Ausgabe Hašeks „Urschweik“ benannt hat (Stuttgart 1999). Ursprünglich geht es um einen Auszug aus Hašeks Erzählungen, die Grete Reiner ins Deutsche übersetzt und 1929 zur Herausgabe im Verlag Synek vorbereitet hat, eben jene Grete Reiner, die erst kurze Zeit zuvor den Abenteuer des braven Soldaten Švejk mit ihren Übersetzungen den Weg in die Welt eröffnet hat. Der Švejk der Vorkriegszeit, eine Reihe von Hašeks Erzählungen und vor allem der Zyklus des Kommandants von Bugulma mit einem Essay von Karel Kosík (Švejk und Bugulma, oder die Geburt des grossen Humors. Handschrift aus dem Jahr 1969, tschechisch erst 1993 im Jahrhundert der Markéta Samsa [Století Markéty Samsové] publiziert) versehen, sind hier in einem neuen Kontext und in einem anderen Licht anzutreffen, denen notwendigerweise Beachtung geschenkt werden sollte.
Die Erzählungen aus Bugulma fasste Kosík rasant auf, so wie es auch gleich die zwei einleitenden Sätze belegen: „Švejk konnte nur deshalb zu einer Figur der Weltliteratur werden, weil er die Erfahrungen aus Bugulma durchgemacht hat. Das Wesen dieser Erfahrungen ist die Ernüchterung“ (Das Jahrhundert der Markéta Samsa, S. 132). Wenn wir alles beiseite lassen, was wir über Hašeks mehrmals widerrufenen Abgang aus den Funktionen der Roten Armee und dessen Ernüchterung über die Verhältnisse, in die er zurückkehrte, wissen, über die Ernüchterung, die an den von Hašek selber veröffentlichten Texten, Feuilletons und Erzählungen belegt werden kann, und lassen wir auch das Unbelegbare beiseite (uns bleibt nämlich nichts anderes übrig), was sich in Hašeks Bewusstsein, nach dem Konflikt mit beiden Erfahrungen, der aus Russland und der aus dem gut bekannten Prag, abspielte, so ist Kosíks Urteil nichts mehr hinzuzufügen. Ein Philosoph, der das allgemeine Verständnis des Autors höher als die geschichtlichen Ereignisse bewertet (auch höher als den Bürgerkrieg in Russland), darf sich ein solches Abweichen von konkreten, bei diesem Autor vielmals unklaren Motivationen erlauben. Danach ist alles plötzlich einfacher zu verstehen: Hašek durchblickte die Lüge der Geschichte und der Revolution und erhöhte über sie das „dichterische Bild“, welches, freilich nicht irgendwie, aber mit einem übergreifenden Sinn für die Ironie der Geschichte, also mit „grossem Humor“, über das Aufeinandertreffen des einfachen Menschen mit dem Weltkrieg (ibidem, S. 132–144) aussagt. Die Erzählungen aus Bugulma sind dann für Kosík (was sie auch schon für Fučík waren, allerdings in einem etwas anderen Sinn) ein Vorzeichen der Schicksale in ihrem Allerwesentlichsten: Eben in ihrer Übersicht. Wie können wir ihn aber verstehen, damit einmal von ihm mehr als nur ein ideelles Schema übrigbleibt?
In 35 kurzen, konzeptuell ausgefeilten Absätzen behandelt Kosík nur wenige Motive der bugulmer Erzählungen von Hašek. Umso breiter sind die Zusammenhänge, in die er sie einfügt: Die Weltliteratur, Philosophie, Geschichte, Politik, die Kontexte des europäischen Denkens, da lediglich am Rande auftauchend, im Hintergrund, vor dem Kosíks abgehackte Formulierungen an Gewicht gewinnen. Seine Formulierungen greifen auch, allerdings um den Preis einer gewissen Vereinfachung oder Beschleunigung des Blickwinkels auf den Text. So lesen wir zum Beispiel im mit der Nummer 22 betitelten Artikel: „In Bugulma kämpfen zwei Kommandanten miteinander um die Herrschaft einer Stadt: Švejk (Geselle Gašek) und Jerochymov. Zwei Menschen – zwei verschiedene Welten, zwei nicht zu vereinende Prinzipien, das bedeutet Anfänge. Jerochymov personifiziert Gewaltbesessenheit. Für Švejk (so versteht man wahrscheinlich für Hašek) gleicht die Revolution der Befreiung des Menschen und dem Sinn für Humor. Aber in einem Land, von beiden Seiten durch Gewaltätigkeiten erschüttert, durch weissen und roten Terror, kann Švejks (erneut versteht sich für Hašek) Einstellung nicht anders als in absoluter Donquichotterei enden“ (ibidem, S. 137).
Dies ist ein nötiger Vergleich. Allerdings lässt es die spielerische Inszenierung außer Acht, in der sich uns die Konflikte beider Führer vorstellen. Wie wir wissen, so ruft Jerochymov in dieser fiktiven Erzählung ein Revolutionstribunal gegen seinen Feind ein. So kann es sich der Erzähler auch später vor dem Verhör, in dem es um Leben und Tod geht, nicht verkneifen den Vorsitzenden des Tribunals leicht an seinem leicht blonden Vollbart zu ziehen. Der herbeigerufene Jerochymov, der über Gašeks angebliche, durch einen Spitzel in einem Telegramm gemeldete kontrarevolutionäre Tätigkeit aussagen soll, kommt entnervt und verschlafen an und bezeugt nur Folgendes: „Das Telegramm, meine Täubchen, schickte ich betrunken ab“ (Velitelem města Bugulmy, 1966, S. 142). Der Erzähler antwortet auf Agapopovs drohendes „Runter mit dem Kopf“ mit der einfachsten Geste: „Ich schüttelte jedem die Hand“ (ibidem). Die komische Erleichterung verschleiert allerdings nicht den „Ausdruck unendlicher Stumpfheit“ auf Jerochymovs Gesicht und hindert nicht, dass wir erkennen, auf welcher Seite die menschliche Verstand und auf welcher Seite ihr Gegenteil steht. Aber genau dort steckt das Problem. Das ausgesprochene Urteil führt uns nicht zum Erkennen, sondern die gewählten Blickwinkel auf die Dinge, so „wie sie sind“ – auch so wie sie in der breiten Skala der Lächerlichkeit erscheinen, von einem Lächeln über die Unangemessenheit des feierlichen „Taufgangs“ zur Errettung klösterlicher Jungfrauen bis hin zur Karikatur des Jerochymov, in der sich das Allerschlechteste vermengt: Begrenztheit, Machtbesessenheit und gefährliche Dummheit, die keine Grenze kennt. Aber sogar bei ihm bemerkt der Erzähler ein Abweichen vom vornherein aufgestellten Schema: „Kindliche blaue Augen“, deren – im gegebenen Fall unzweifelbar trügerische – Unschuld in den Schicksalen, sicherlich schon mit anderer Gültigkeit, dem Švejk zugeteilt ist.
An der Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit scheinen die Dinge ein wenig anders, reicher und komplizierter, auch wenn sie dabei ihre wertvolle Gültigkeit nicht verlieren. Das menschlich Wichtige in ihnen behält weiterhin seine Gültigkeit. So zum Beispiel, wenn „Švejk (es versteht sich der Autor) als Führer in Bugulma die Verfolgten und denen ein Unrecht widerfahren ist beschützt“, so wie Kosík darüber schreibt (Das Jahrhundert der Markéta Samsa, S. 134). Es gilt die Schilderung des Chaos der „grossen Ereignisse“, in denen der Autor den Menschen vehement in Schutz nimmt. Und dennoch gilt auch das weise Lächeln des Erzählers über das unberechenbar über alle ideelle Schemen hinausfliessende Leben. Außer der Ironie ist hier auch die Parodie allgegenwärtig, die von den geschilderten Ereignissen die deprimierende Schwere abwischt. Eine Parodie ist schon die Besetzung Bugulmas mit Hilfe von zehn Tschuwasen, bei denen sich der Erzähler wie „Žižka vor Prag“ vorkommt, Parodie ist das „neue“ Erobern Bugulmas durch Jerochymov. Seine Verkündigungen und Befehle, in denen er zum Beispiel der „gesamten Bevölkerung Bugulmas und dem Umfeld“ befiehlt innerhalb von drei Tagen lesen und schreiben zu lernen, werden missachtet. Eine potemkimhafte Parodie ist die fingierte Hinrichtung der „Konterrevolutionäre“, die Jerochymov als unerschütterliches Argument gegen seinen Konkurrenten brauchte. Die strategischen Operationen des Kommandants an der Front (für den sich der Erzähler ausgiebt) werden mit familiärer Gelassenheit beschrieben, der sich bei der Aufgabe „die Eisenbahnbrücke am Ik und Klutschewa in die Luft zu jagen [...] den Aufzug zu verbrennen und bis zum letzten Mann bei der Eroberung der Stadt ausharren“ an sein Mütterchen in der Milešovska Strasse Nr. 4 an den königlichen Vinohrady erinnert, Befehle erteilt und Telegramme verschickt wie es ihm gerade einfällt und zur Erkenntnis gelangt, dass Napoleon ein Blödmann war, weil er mit seinen heerführerischen Qualitäten ebensowenig zu Rande kam wie er selber.
In Hašeks Erzählung wehte über Bugulma der freie Geist der Geschichte von Seiten des gemäßigten Fortschritts innerhalb der Grenzen des Gesetzes. Der Raum, über den er hinweg wehte, erweiterte sich freilich und schloss auch die grosse Odyssee in sich ein, die Millionen von einfachen Menschen mitgemacht haben, auch solchen, denen „der Sinn des Bürgerkrieges ebenso bekannt war, wie das Knobeln von Gleichungen x-ten Grades“ (zitiert aus dem Buch Velitelem města Bugulmy, 1966, S. 134). Auch diese Perspektive gehört zu den Schicksalen. Erst unter Mitwirkung der Komik und ihrer reichen Schattierung erhält Hašeks „grosser Humor“ sein Unverwechselbares: Den Puls des Lebens. Vielleicht ist es nötig, auch dieses zu den grundsätzlichen Zügen hinzuzufügen, in die der Philosoph Kosík die Erzählungen aus Bugulma eingerahmt hat.
Das Nachwort zur neuen Ausgabe des Urschweiks von H. D. Zimmermann, genannt Jaroslav Hašek, ein Leben und eine Legende, handelt von Beidem. (Der Herausgeber fügte in dieses Buch ebenfalls die Erinnerungen Františeks Langer und Josefs Lada hinzu und so kann der deutsche Leser unter anderem nachprüfen, wie originell die Atmosphäre Hašeks Humor schon vor dem ersten Weltkrieg war.) Das Nachwort betonte Hašeks anarchistische und liberalistische Einstellung, die er auch in den Schicksalen und in den Erzählungen aus Bugulma wiedererkennt, in deren Bewertung er von Kosíks Interpretation ausgeht. Doch scheint mir Zimmermanns Zugang in einem Hinblick etwas einseitig. Dazu ausschlaggebend ist, dass er den Švejk nicht als Figur, sondern als Diskurs auffasst, als eine bestimmte Art und Weise Sprache zu gebrauchen. Problematisch dabei ist, ob es auschliesslich um einen destruktiven Diskurs geht. Meinem Urteil nach wiederholt sich in dieser Art und Weise die Verkürzung der Reichweite des švejkschen Diskurses, seine Reduzierung auf eine zerstörende Kraft. Hier ist es möglich allein in der Diskussion fortzufahren: Die Rückkehr zum Text, zu seinen Möglichkeiten. In der Kreativität der švejkschen Sprache sollte uns nicht die Freiheit des Spiels entgehen, die, falls sie notwendig ist, die Dinge und die Situation nicht nur auf den Kopf stellt, sondern auch den Boden unter den Füssen wiederbringt. Wenn Švejk vor seiner Hinrichtung geistigen Beistand vom Feldkurator Martinec empfangen soll, endet es dank Švejks Diskurs ganz anders. Wenn ihn unser guter Soldat, vollständig verblödet vom Erzählen der Beispiele aus seinem Leben, auf das verlauste Arrestfeldbett hochzieht und ihn von diesem hinunterwirft, damit er ihm anschaulich zeigt, wie es sich mit Herrn Faustýn in der Opatovická Strasse abspielte, bleibt ihm nichts anderes übrig, als entsetzt zu widerholen, dass das Fenster aus dem Herr Faustýn herunterfiel, „nicht mal dreimal so hoch war“ – und so schnell wie möglich verschwand. Die Szene endet mit Švejks Nachdenken: „Jetzt führen sie ihn wahrscheinlich zu den Verrückten“ – und das Soldatenlied, welches sich der Delinquent zufrieden in seinen Marsch pfeift.
Für Bohumil Hrabal war Švejk eine Hieroglyphe menschlicher Existenz. Auf seine Art gilt seine Charakterisierung auch für dessen Autor. Er wusste mehr vom Menschen, als was mit einem Punkt abgeschlossen werden könnte.
Übersetzung von Linda Novotny
SUMMARY In the previous text the author presents reflections about the type of Švejk’s discourse and Hašek’s work in general when he argues against those approaches which interpret him exclusively as a destructive type. The author in fact holds the opposite view according to which such a discourse is charged with a positive energy that can keep recurring in our lives by means of the world which is being created inside the work and through our participation in this process, and for many readers it can be repeatedly turned into a cipher of human freedom. In this context, Jankovič mentions existing approaches to this problematic relationship. He brings up his present concretizations which were initially searching in Hašek’s Švejk for certain noticeable ideological conceptions, defending the contextual richness of created literary construction against its external, sociological or moral interpretations, and last but not least, those explaining the positive line under which the meanings of life resist, through the existence of the work itself, its stagnation and its death. The author claims that Werich’s reading of Good Soldier Svejk made him stronger during this journey, particularly his attempt to present diverse characters in Hašek’s novel with all their peculiarities and idiosyncrasies. During his realization of Hašek’s text, Werich demonstrated that the work as whole and its meaning persist within the frame of the rich diversification of voices. The lively speech thus functions as a medium through which this artistic intention is being accomplished. Furthermore, the author refers to Hrabal’s reading of Švejk, drawing attention particularly to that aspect which treats Švejk as a “hieroglyph of human existence” – according to Hrabal, an artwork is a disquieting, subjectively prevalent sign that is, at the same time, capable of “explaining life as well as the entire world”. The author pays close attention to Karel Kosík’s philosophical interpretation, mainly to his stance that is based on the contrast between a specifically selected perspective of seeing things and inter-connections, which multiplies the experience of life and world, and a brutal foolishness, one-sidedness and pragmatic determination, which limit and destroy life and the world. However, what must be seen as a crucial aspect here is the emphasis that is being put on relationships and the means of the mutual influence of these two principles, the parallel staging which allows one to perceive both potencies of the text in their full efficiency. From this perspective, the author returns to H. D. Zimmermann’s text (epilogue for Urschweik ) and draws attention to the danger of reducing Švejk’s discourse merely to its destructive potency. The level of destruction is in a broader context of Švejk’s speech amplified through an experience of fulfillment and freedom; only a mutual symbiosis of both poles and deciphering of their possible relations allow us to perceive a possible key principle which produces meaning, followed by the eternal fullness and richness of life.