Bohemistik an der Philipps-Universität Marburg

Ein Bohemistikstudium in Marburg ist im Rahmen der am Institut für Slawische Philologie angeboten Magisterstudiengänge als Haupt- oder Nebenfach möglich. Künftig wird die tschechische Sprache und Literatur im Rahmen Bachelor- und Masterstudiengänge („Osteuropastudien“, „Philology“, Europäische Literaturen“) eine große Rolle spielen. Für das regelmäßige Lehrangebot sorgen Prof. Dr. Reinhard Ibler und Dr. Claudia Natterer (beide Tschechische Literaturwisenschaft) sowie Prof. Dr. Helmut Schaller, der Themen zur bohemistischen Sprachwissenschaft meist im Kontext komparatistischer Seminare behandelt. Lehrbeauftragte für die tschechische Sprache ist Frau Dr. Ivana Clausnitzer. Zur Zeit sind ca. 30 Studierende in bohemistischen Studiengänge eingeschrieben (Tendenz steigend). Das Institut für Slawische Philologie kooperiert mit den bohemistischen bzw. slawistischen Abteilungen der Marburger Partneruniverstitäten Prag und Brünn, Arbeitskontakte bestehen ferner zu den Universitäten Ostrava, Opava und České Budějovice. Die Arbeitsmőglichkeiten für Bohemisten sind in Marburg sehr gut. Zwar sind die bohemistischen Buchbestände in der Institutsbibliothek und der Universitätsbibliothek verhältnismäßig klein, dafür bietet die Bibliothek des Herder- Instituts eine reiche Auswahl an Veröffentlichungen zur tschechischen Geschichte, Literatur, Kultur und Landeskunde.

Projekte zur tschechischen Literaturwissenschaft (bzw. solche mit bohemistischem Anteil) an der Philipps-Universität Marburg:

Habilitationsprojekt Andrea Uhlig:
Gotthold Ephraim Lessings Dramenschaffen in den slavischen Literaturen

In dieser Untersuchung soll die Rezeption von Lessings Dramen, aber auch seiner dramentheoretischen Schriften in verschiedenen slavischen Literaturen beleuchtet werden. Insbesondere soll es darum gehen, welchen strukturellen und funktionalen Transformationen diese Werke unterliegen. Neben der russischen und polnischen soll auch die tschechische Literatur einbezogen werden, zumal Lessing in Böhmen recht früh im deutschen Original wahrgenommen wurde.

Habilitationsprojekt Claudia Natterer:
Das Motiv des Wahnsinns in der russischen, tschechischen und deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts

In dieser komparatistischen Arbeit soll an ausgewählten romantischen und realistischen Werken die Bedeutung des Wahnsinns-Motivs und seine Entfaltung in unterschiedlichen kulturellen Kontexten untersucht werden.

Dissertationsprojekt Silke Felgentreu:
Der verfilmte Hrabal: Verschiebung der semantischen Wertigkeit von Figuren und Räumen in den Verfilmungen der Werke Bohumil Hrabals

Bohumil Hrabal ist trotz zahlreicher existierender Publikationen zu seinen Texten für die Literaturwissenschaft nach wie vor von großem Interesse: die Interpretation seiner Werke findet häufig nur vor dem soziokulturellen Hintergrund seines Schaffens statt, den von ihm verwendeten ästhetischen Verfahren ist dagegen bisher noch zu wenig Bedeutung beigemessen worden. In der vorliegenden Arbeit soll es zunächst darum gehen, diese Verfahren in den Romanen Ostře sledované vlaky und Postřižiny sowie dem Erzählband Perlička na dně zu analysieren. Danach ist zu überprüfen, durch welche filmtechnischen Verfahren die in den Texten erzielte Wirkung in filmischen Adaptationen der Werke erreicht wird. Kriterien des Vergleichs sollen, bezogen auf den literarischen wie den filmischen Text, dabei die Darstellung der Instanzen „Erzähler und Adressat“, die „Strukturierung des Raums“ und die „Strukturierung der Zeit“, die „Inszenierung der Rede“, die „Perspektive“ und die „Figurendarstellung“ sein. Diese Kategorien werden durch die dem Rezipienten als quasi natürliches tertium comparationis erscheinende Fabel ergänzt. Hintergrund für den komparatistischen Ansatz der Interpretation von literarischem Text und seiner filmischen Adaptation ist im konkreten Zusammenhang auch Bohumil Hrabals Mitarbeit an den Drehbüchern zu den Verfilmungen seiner Prosa und also seine Möglichkeit zur Einflußnahme auf den gleichzeitig eine Rezeption seiner eigenen Werke darstellenden Film.

Dissertationsprojekt Lenka Ďuranová:
Die Motive „Selbstmord“ und „Reinkarnation“ in der slowakischen und tschechischen Kurzprosa vor und nach der Wende 1989

Die als „sanfte Revolution“ bezeichneten politischen und gesellschaftlichen Veränderungen des Jahres 1989 haben ihre Spuren auch in der slowakischen und tschechischen Literaturproduktion hinterlassen. Nach den Restriktionen des sozialistischen Systems kann sich das künstlerische Schaffen nun auf subjektive Impulse gründen und Impulse anderer Literaturen und Kulturen aufnehmen. Das Projekt nimmt den „Selbstmord“ psychologisch-psychiatrisch als Konsequenz von mit Schmerz verbundener Bewußtheit der eigenen Existenz und ihrer Umstände zum Gegenstand der Analyse von Entwicklungslinien der Kurzprosa. Problembezug und Intensität (Penetranz) prädestinieren ganz besonders die Kurzgeschichte für diese Betrachtung, die zudem Anfang der achtziger Jahre eine Renaissance erlebte. Wie gestalten die Prosaiker im Spannungsfeld von eigener Subjektivität und subjektiver Wahrnehmung gesellschaftlicher Bedingungen das präsuizidale Drama, den Akt des Suizids, den Blick in das Gesicht des Todes, die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod sowie das Leben nach dem Tod? Welche Einflüsse von Literatur auf ihre Rezipienten („Werther-Effekt“) bzw. von realem Verhalten der Menschen und seinen jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen auf die literarische Verarbeitung sind feststellbar? Diesen und weiteren Fragen soll auf der Grundlage ausgewählter Texte der slowakischen und tschechischen Kurzprosa der achtziger und frühen neunziger Jahre nachgegangen werden.

Magisterprojekt Daniela Pusch:
Ausgewählte Aspekte der neueren russischen und tschechischen Jugendprosa

Bemerkung: Bei den angeführten Vorhaben handelt es sich vorwiegend um laufende Projekte. Das Magisterprojekt wurde im Februar 2004 abgeschlossen.

Reinhard Ibler
Philipps-Universität Marburg